– mit dieser Feststellung eröffnete Prof. Dr. Matthias Weiß, Professor für Innovationsmanagement & Transformation an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, seinen Vortrag im Vogter Gasthof Adler. Eingeladen hatte der Energiewende Vogt e. V. zu diesem äußerst interessanten Abend, warum Klimaschutz nicht Belastung, sondern Business-Chance ist.
Klimaschutz: vom Kosten- zum Nutzenfaktor
Weiß kritisierte, dass Klimaschutz in Deutschland häufig als parteipolitische Frage gesehen wird: „Dabei haben wir es hier mit Physik und Risikomanagement, nicht mit Ideologie zu tun.“ Würden Unternehmen und Volkswirtschaften den Klimawandel so nüchtern bewerten wie andere Geschäftsrisiken, stünde er längst ganz oben auf der Prioritätenliste. „Je länger wir warten, desto teurer wird es“, warnte er mit Blick auf aktuelle Risikoberechnungen: Ohne entschlossenes Handeln droht der Weltwirtschaft bis 2050 ein Verlust von bis zu 18 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Parallel stiegen 2024 die weltweiten Naturkatastrophenschäden auf 320 Milliarden US-Dollar, davon nur 140 Milliarden versichert – beides deutlich über den langjährigen Mittelwerten.
Klimawandel, Wohlstand und Migration
Sinkende Ernten, Dürren und Extremwetter gefährden Wirtschaftskraft und Lebensgrundlagen, besonders in Süd-Asien sowie Nord- und Westafrika. Die Weltbank prognostiziert deshalb bis 2050 bis zu 216 Millionen Migranten durch die Klimakrise. „Wer Migration eindämmen will, muss den Klimawandel eindämmen“, brachte Weiß den Zusammenhang auf den Punkt.
Restbudget wichtiger als Zieljahr
Für eine 50-Prozent-Chance, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, bleiben global nur noch rund 250 Gigatonnen CO₂ – das entspricht etwa sechs Jahren heutiger Emissionen. Während die derzeitigen Politikpfade auf rund 2,6 – 2,9 °C hinauslaufen, zeigt ein Blick in die Erdgeschichte, wie eng der bewohnbare Temperaturkorridor ist: Während der letzten Eiszeit lag die globale Mitteltemperatur nur 5 – 6 °C unter dem heutigen Wert, und weite Teile Europas waren unbewohnbar.
Wie zuverlässig sind diese Zahlen?
Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) forscht nicht selbst, sondern zehntausende Studien internationaler Forschungsinstitute aus. Drei offene Review-Runden und die Zeile-für-Zeile-Verabschiedung durch alle 195 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen machen die IPCC-Berichte zum weltweit anerkannten Konsens über den Stand der Klimawissenschaft.
Globale Investitionen und deutsche Chancen
Allein China investierte 2024 rund 675 Milliarden US-Dollar in saubere Energien – beinahe so viel wie EU und USA zusammen. Wer künftig Weltmarktanteile bei Windturbinen, Batterien oder Smart-Grid-Lösungen sichern wolle, müsse politisch gute Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft setzen, betonte Weiß. Zwar spiele deutsche Windtechnik noch in der ersten Liga, doch der Wettbewerb werde härter. Professor Weiß betonte, dass aus Wirtschaftswissenschaftlicher Sicht keinen Zweifel besteht, dass die Kompetenz bei Klimaschutz- und Klimaanpassungs-Technologien darüber bestimmt, wer künftig die Weltwirtschaft anführen wird. Damit Deutschland und Europa künftig nicht abhängig von anderen Ländern sind, lohnt sich jeder Euro, der jetzt in diese Branchen investiert wird. Ein politisch gewollter Ausverkauf, wie es vor ca. 10 Jahren die deutsche Solarwirtschaft erlebt hat, wäre nicht nur für die heimischen Unternehmen, sondern auch volkswirtschaftlich ein Debakel.
Diskussionsrunde: versteckte Kosten & Preisvorteil der Erneuerbaren
Im lebhaften Austausch nach dem Vortrag zeigte Weiß, dass erneuerbare Energien heute bereits die günstigste Form der Stromerzeugung sind: Freiflächen-Photovoltaik erhielt zuletzt Zuschläge um ca. 4,8 ct/kWh, Onshore-Wind lag bei rund 7 ct/kWh, während neue Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke bereits ohne Zusatzkosten über 10 ct/kWh liegen. Der Vorsprung wachse weiter, wenn versteckte Folgekosten eingerechnet würden: So müssten in früheren Braunkohlerevieren rund um die Uhr Grundwasserpumpen betrieben werden, damit Schächte nicht einstürzen und ganze Ortschaften absacken – eine finanzielle Dauerbelastung für alle Steuerzahler*innen, die nie im Strompreis enthalten war.
Weiß erläuterte anschließend den in Fachkreisen diskutierten Zusammenhang, weshalb Staaten mit Atomwaffen trotz hoher Kosten an Atomkraftwerken zur Energieversorgung festhalten: Die dafür benötigte Infrastruktur – Urananreicherung, Wiederaufarbeitung, spezialisierte Ingenieurteams – ist dieselbe, die auch nötig ist, um waffenfähiges Material bereitzuhalten und alternde Sprengköpfe zu ersetzen. Damit sei die zivile Stromproduktion gewissermaßen ein Nebeneffekt eines strategischen Kernwaffeninteresses.
Schließlich erinnerte er daran, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – die sogenannten Wirtschaftsweisen – bereits seit den 1990er-Jahren für eine soziale Flankierung von CO₂-Bepreisung und anderen Klimaschutzinstrumenten plädiert, um Akzeptanz und Verteilungsgerechtigkeit gleichermaßen sicherzustellen.
Fazit
„Klimaschutz ist Wirtschaftsschutz.“ Jeder Euro, der heute in Windräder, Solaranlagen, Netze oder Effizienz fließt, spart morgen ein Vielfaches an Schadens- und Folgekosten und schafft zugleich neue Arbeitsplätze sowie regionale Wertschöpfung, auch in der Region Bodensee-Oberschwaben.
Quellen
- Swiss Re Institute: The Economics of Climate Change – Climate Economics Index (2021).
- Munich Re: NatCat Report 2024 – Natural Disaster Figures.
- Weltbank: Groundswell – Preparing for Internal Climate Migration (2021-Update).
- Our World in Data / Global Carbon Project: Remaining Carbon Budget for 1.5 °C (Stand 2025).
- UNEP: Emissions Gap Report 2023.
- Annan, J. D. & Hargreaves, J. C. (2022): Paleoclimate Constraints on Climate Sensitivity. Climate of the Past.
- IPCC: How the IPCC Works (Fact Sheet 2024).
- IEA: World Energy Investment 2024.
- Bundesnetzagentur: Ausschreibungsberichte Solar und Wind an Land, Dezember 2024.
- Fraunhofer ISE: Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien, Update 2025.
- Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1995 ff.
